Ode an das Kipferl
Ein kleines Büchlein mit Zeilen zu einem Detail der großen Weltgeschichte. Der Mangel an Mehl im Österreich des 1. Weltkrieges hatte zur Folge, dass im Jänner 1915 die Herstellung von Weizenfeingebäck verboten wurde. Im Gedicht "Ode an das letzte Kipferl" nimmt Mathilde Gräfin von Stubenberg Abschied vom liebgewonnenen Kipferl - einem weiteren Opfer des Krieges.
Ode an das letzte Kipfel
von Mathilde Gräfen von Stubenberg
Ode an das letzte Kipfel vor der behördlichen Einführung der Kriegssemmel.
So fielst auch DU fürs Vaterland,
Du Liebling meiner Jause –
Was ist’s nur, das mit Dir entschwand?
Kein Kipfel gibt’s im Hause!
Im Zeichen der Gemütlichkeit
Stand’st Du auf meinem Tische,
Im reschen, blanken Kipferlkleid,
Voll Bäckerduft und Frische!
Ob mit Kaffee man Dich verzehrt,
Mit Honig oder Butter –
Du warst von allen viel begehrt,
Ein schmackhaft-holdes Futter.
Und nun liegt stumm auf meinem Tisch
Ein schlechtes Brotgebilde,
Und blickt um sich so kriegerisch –
Was führt es nur im Schilde?
IN meinem Körbchen mach sich’s breit,
Als wär‘ es dort zu Hause –
Und raubt mir die Gemütlichkeit
Der lieben Kaffeejause.
Die Du mit Friedenswahn umhegt
Für eine schöne Stunde – – –
Nun ist auch sie hinweggefegt,
Und mahnend in der Runde,
Auf meinem Tisch im Semmelkleid
Steh’n ernst des Krieges Boten –
Dich, Kipferl trauter Häuslichkeit,
Zählt auch man zu den Toten!
So sei’s, daß ich zum Abschied denn
Nicht ganz Dich heut‘ verschmause –
Ein Zipfelchen vom Kipfelchen
Der alten Friedensjause
Heb‘ ich zum Angedenken auf
Mit diesem kleinen Liede,
Und schreibe Dir als Grabschrift d’rauf:
Auf Wiederseh’n – wenn Friede!
3. Juni 1915, Signatur
A. Förster, Wien, I., Kohlmarkt 5.